
Evangelium nach Matthäus 11,2-11
In jener Zeit hörte Johannes im Gefängnis von den Taten Christi. Da schickte er seine Jünger zu ihm und ließ ihn fragen: Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen andern warten? Jesus antwortete ihnen: Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet. Selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt.
Als sie gegangen waren, begann Jesus zu der Menge über Johannes zu reden; er sagte: Was habt ihr denn sehen wollen, als ihr in die Wüste hinausgegangen seid? Ein Schilfrohr, das im Wind schwankt? Oder was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid? Einen Mann in feiner Kleidung? Leute, die fein gekleidet sind, findet man in den Palästen der Könige. Oder wozu seid ihr hinausgegangen? Um einen Propheten zu sehen? Ja, ich sage euch: Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten. Er ist der, von dem es in der Schrift heißt: Ich sende meinen Boten vor dir her; er soll den Weg für dich bahnen. Amen, das sage ich euch: Unter allen Menschen hat es keinen größeren gegeben als Johannes den Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er.
Sind wir größer als Johannes der Täufer?
Luis CASASUS Präsident der Missionare Identes
Rom, 14. Dezember 2025 | Dritter Adventssonntag
Jes 35,1–6a.10; Jak 5,7–10; Mt 11,2–11
Im heutigen Evangelium hören wir Jesus sagen: Wahrlich, ich sage euch: Unter allen, die von einer Frau geboren sind, ist keiner größer aufgetreten als Johannes der Täufer; doch der Kleinste im Himmelreich ist größer als er. Natürlich stellt Christus hier kein „Heiligenranking“ auf, sondern erinnert uns vielmehr daran, dass der Täufer die Wunder nicht gesehen hat, welche die ersten Jünger sahen, und auch nicht die heroischen Taten, die wir in den Heiligen über so viele Jahrhunderte hinweg gesehen haben – auch wenn unsere Antwort auf diese Gnade nicht immer die beste ist. Er predigte, erduldete Verfolgung, Gefangenschaft und Martyrium, ohne gesehen zu haben, was wir schauen durften: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet.
Er glaubte zutiefst an den Meister und konnte zugleich das Ausmaß der göttlichen Barmherzigkeit nicht begreifen, die Christus dazu bewegte, denen zu vergeben und mit ihnen zu leben, die als unrein galten, die sich den Verkommensten zuzuwenden, die deutliche Zeichen zeigten, dass sie sich gar nicht bekehren wollten. Jesus verkündete ihnen, dass – allen Erwartungen zum Trotz – die Pläne des himmlischen Vaters sich erfüllen und sich weiterhin erfüllen werden: Es wird praktisch unmöglich sein, der göttlichen Barmherzigkeit zu widerstehen und sich nicht jetzt, rechtzeitig oder am Ende dieses Lebens zu bekehren. Das erklärt die Wunder und Heilungen Jesu, damit alle verstehen, dass das Himmelreich wirklich schon mitten unter uns ist.
Natürlich übertraf (und widersprach) Christi Haltung der Barmherzigkeit alle Erwartungen; seine Sicht auf Sünder und Verdorbene stimmte nicht immer mit dem überein, was wir manchmal im Alten Testament lesen: Sollte ich nicht hassen, die dich hassen, Herr? Und die sich gegen dich erheben, verabscheue ich nicht? Ich hasse sie mit tiefstem Hass (Ps 139).
Vielleicht ist dies der Grund, weshalb Johannes fragte, ob noch ein anderer „kommen werde“, der die Lehre und das Erbarmen Christi vollenden sollte, indem er die Schlechtesten beseitigt, die den Frieden und den endgültigen Sieg der Propheten unmöglich zu machen schienen. Doch er hatte seine Sendung angetreten wie Abraham – aufbrechend, ohne zu wissen, wohin er genau gehen würde.
Jesus selbst, wohl wissend um den Anstoß, den seine grenzenlose Barmherzigkeit erregte, ruft heute aus: Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt!
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Doch was wir täglich erleben und was die Israeliten im Exil erlebten, scheint ebenfalls nicht von einem Sieg des Himmelreichs zu sprechen. Tatsächlich zeigen gestern wie heute viele Menschen Desinteresse am geistlichen Leben und an jeder Religion, weil sie ihnen für ihr Dasein irrelevant erscheint. Was macht es aus, ob Gott existiert oder nicht, wenn Er offenbar nichts mit uns zu tun hat? Welchen Nutzen hat mein langjähriger Glaube, wenn er die dringendsten Probleme der Menschen, die ich liebe und für die ich so lange gebetet habe, nicht löst? Manche geben Gott sogar die Schuld an den Tragödien, die ihren Angehörigen oder ihnen selbst widerfahren. Deshalb muss die Verkündigung des Evangeliums, auch wenn sie auf dem Wort gründet, durch bestimmte Taten bezeugt werden, die sich ohne Eingreifen der Gnade im Menschen nicht erklären lassen: in völliger Selbstverleugnung zu leben, die Feinde zu lieben und jederzeit zu vergeben.
Doch es gibt noch mehr. Der Sieg des Himmelreichs zeigt sich dort, wo „zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“ (Mt 18,20). Das bedeutet, dass Er gegenwärtig sein wird. Christus sagt nicht: „wenn ihr in meinem Namen arbeitet“, und erwähnt nicht einmal das Gebet; doch Seine Gegenwart zeigt sich immer durch besondere Zeichen. Das erste ist natürlich die Einheit, denn nur der Heilige Geist, der den Sohn begleitet, vermag Einheit unter denen zu schaffen, die unterschiedliche Empfindungen und Erwartungen haben und einander zudem nicht immer vollkommen verstehen.
Wenn diese Einheit dazu führt, gemeinsam das Leben hinzugeben – auf verschiedene Weise, aber immer bis zum Ende –, dann ist Gottes Gegenwart spürbar. Das herausragendste Modell dafür sind die Märtyrer, die einander ermutigen, für Ihn zu sterben.
Ein schönes und bewundernswertes Beispiel sind die Märtyrer von Nagasaki (Japan, 1597). Sechsundzwanzig Christen – Franziskaner, Jesuiten und Laien, darunter drei Kinder – wurden wegen der Verkündigung des Evangeliums zum Tod durch Kreuzigung verurteilt. Auf dem Weg zum Berg Nishizaka ermutigten sie einander mit Gesängen und Worten der Hoffnung.
Der Jüngste, Luis Ibaraki, kaum zwölf Jahre alt, stärkte die Älteren mit den Worten: „Der Himmel liegt vor uns.“ Die Erwachsenen schöpften angesichts seines Mutes neue Kraft: Der Glaube des Kindes wurde zum Spiegel, der ihren Mut und ihre Hoffnung erneuerte. Am Kreuz ermutigten sie einander, den Te Deum zu singen, und zeigten, dass die Gemeinschaft im Martyrium stärker war als die Angst.
Doch es geht nicht nur um den blutigen Tod. Eine Gemeinschaft, die sich beständig darin vereint, den täglichen Martyriumsdienst der Selbsthingabe zu leben, eine Gemeinschaft, die sich unermüdlich dem Dienst weiht, auf Bequemlichkeiten verzichtet und Missverständnisse erträgt, aber der Liebe treu bleibt – auch dort zeigt sich Gottes Gegenwart. Dasselbe gilt für kontemplative monastische Gemeinschaften, die ihr Leben im Gebet für die Welt hingeben, ohne äußere Anerkennung. Papst Franziskus hat uns daran erinnert: „Die unerlässliche Bedingung, Märtyrer zu sein, ist nicht zu sterben, sondern sein Leben aus Liebe hinzugeben.“ Diese stille und beharrliche Hingabe, besonders in einer Gemeinschaft, die ein Leben lang anhält, wird manchmal als „weißes Martyrium“ bezeichnet.
Wir können uns solche Gemeinschaften wie Adventskerzen vorstellen, die in der Nacht brennen, ohne Lärm zu machen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, aber ihr eigenes Leben verzehrend, um anderen Licht zu schenken. Das ist ihr Martyrium: sich aus Liebe verzehren, ohne dass ein gewaltsamer Tod nötig wäre.
Einheit – dieses schwierige Ziel im Leben der Welt – zeigt sich in Mitgliedern religiöser Gemeinschaften oder Familien, die sich wirklich gemeinsam Gott weihen.
Unser Gründer ermutigt uns, in der Gemeinschaft Heiligkeit zu leben – nicht, weil dies einfacher wäre, sondern weil wir so Zeugnis geben können von einer Einheit und Vergebung, die nur in einer Gemeinschaft möglich sind. Dies ist so kraftvoll, dass wir, wenn wir diese Gelegenheit verpassen, – im harten Sprachgebrauch des Alten Testaments – eine schreckliche Strafe verdienen würden. Daher ruft der heilige Paulus heute in scheinbar übertriebener Weise aus: Klagt nicht übereinander, Brüder und Schwestern, damit ihr nicht gerichtet werdet.
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Dasselbe geschah Johannes dem Täufer, Maria, Abraham, Josef und vielen Propheten: Sie konnten Gottes Pläne nicht begreifen. Altes und Neues Testament stimmen darin überein, dass unser Weg durch das Geheimnis führt – nicht durch Verständnis:
Denn so hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch sind meine Wege über euren Wegen und meine Gedanken über euren Gedanken (Jes 55,9).
O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerschöpflich sind seine Entscheidungen, wie unergründlich seine Wege! (Röm 11,33)
Das Zeugnis des Täufers war so beeindruckend, dass Herodes beschloss, ihn in der gewaltigen Festung Machaerus einzusperren; denn er wurde von Panik ergriffen – er fürchtete, dass die moralische Autorität des Täufers das Volk zu einem Aufstand bewegen könnte.
Er zitterte auch, weil Johannes die Schuld aufdeckte, die er auf sich geladen hatte, indem er die Frau seines Bruders heiratete; das brachte ihn in Verwirrung und führte – gegen seinen Willen – zur Hinrichtung des Täufers. Dies zeigt die Kraft völliger Selbstverleugnung (meiner Urteile, meiner Wünsche und meines Hungers nach „erfüllten Missionen“) und die Erfüllung dessen, was Christus vorhergesagt hat: die vielfältigen Formen der Verfolgung, die die Gerechten erleiden werden.
Der Advent lädt uns ein, uns auf verschiedene Weise auf die Ankunft Christi vorzubereiten – vor allem aber durch einen Besuch in der Wüste, die Selbstverleugnung klar symbolisiert.
Heute haben wir eine einzigartige Gelegenheit, den Täufer als Vorbild unserer asketischen Selbstverleugnung zu nehmen. Dies verschaffte ihm die Gnade, Menschen aller Art zu erreichen.
Sein Lebensstil verband ihn mit den Propheten des Alten Testaments: Das Bild des Johannes erinnert ausdrücklich an Elija, den großen Propheten, der ebenfalls raues Gewand trug und zurückgezogen lebte (2 Kön 1,8). Die Evangelisten wollen zeigen, dass Johannes der „neue Elija“ ist.
Seine Sendung ist es, die Ankunft des Messias vorzubereiten, ihm den Weg zu den Seelen zu bahnen – sogar zu den verschlossensten und verhärtetsten Herzen. Seine Kleidung und seine Nahrung waren Teil dieser Botschaft: Er ist ein echter Prophet, asketisch, ganz Gott geweiht.
Kamelhaar symbolisiert radikale Askese und Loslösung; es ist weder weich noch elegant, sondern rau und unbequem. Es drückt den Verzicht auf Luxus und auf alles Nichtnotwendige aus – ein Leben der Buße.
Heuschrecken waren ein zugängliches und erlaubtes Nahrungsmittel, wie das Buch Levitikus (11,22) sagt; für jemanden, der in der Wüste lebte, zeigten sie, dass er von der absoluten Grundversorgung lebte. Wilder Honig steht für die völlige Abhängigkeit von Gott; es war kein kultivierter Honig, sondern jener, der frei in der Natur gefunden wird, nicht Teil der menschlichen Ökonomie. All dies drückte seine Bereitschaft aus, vom Geschenk und der Vorsehung zu leben – was ihm eine moralische und geistliche Autorität verlieh, die die meisten Pharisäer, Sadduzäer und Priester nicht besaßen.
Diese Selbstverleugnung, diese Loslösung, gab ihm die Autorität, alle zur Umkehr zu rufen – ohne soziale, religiöse oder moralische Unterschiede. Doch er tat dies auf unterschiedliche Weise, je nachdem, wer vor ihm stand.
Zuerst waren da die gewöhnlichen Menschen (Arbeiter, Bauern, Pilger), die an den Jordan kamen und geistliche Orientierung, Vergebung, innere Erneuerung und Hoffnung angesichts politischer Unterdrückung und religiöser Korruption suchten. Mit ihnen sprach Johannes in direkter, aber zugänglicher Weise und ermahnte sie, gerecht und barmherzig zu leben (Lk 3,10–14).
Auch Zöllner kamen – als öffentliche Sünder angesehen; man hielt sie für Verräter, weil sie mit Rom kollaborierten. Überraschenderweise wies Johannes sie nicht zurück. Im Gegenteil, er zeigte ihnen, wie sie gerecht leben können: Verlangt nicht mehr, als festgesetzt ist (Lk 3,12–13). Das zeigt, dass Johannes sich nicht von Sündern isolierte, sondern ihnen einen Weg der Verwandlung eröffnete.
Auch Soldaten näherten sich ihm. Johannes sprach sie in ihrem beruflichen Kontext an: Erpresst niemanden, und begnügt euch mit eurem Sold (Lk 3,14). So wird klar, dass er niemanden für unrettbar hielt – nicht einmal jene, die die unterdrückende Macht verkörperten.
Er sprach auch mit Pharisäern und Sadduzäern – sehr hart. Nicht, weil er sie als Personen ablehnte, sondern wegen ihrer religiösen Heuchelei. Mit scharfen Worten wollte er ihr korrumpiertes Gewissen aufrütteln: Ihr Schlangenbrut! (Mt 3,7). Sie kamen eher aus Neugier oder um seine Bewegung zu beurteilen, nicht um sich zu bekehren. Dennoch richtete Johannes auch an sie denselben Ruf zur Lebensänderung.
Johannes sprach sogar die Machthaber an, indem er Ungerechtigkeiten und öffentliche Sünden anprangerte. Er kritisierte Herodes offen für seine illegitime Beziehung zu Herodias (Mk 6,17–18). Dies kostete ihn seine Freiheit und letztlich sein Leben. Offensichtlich passte er seine Botschaft nicht der Macht seines Gegenübers an.
Schließlich bildete Johannes eine Gruppe von Jüngern (Joh 1,35–41), zu denen er eine tiefere Beziehung hatte und denen er Ausbildung und Begleitung gab. Einige von ihnen folgten später Jesus.
Bitten wir – als Zeichen unserer Selbstverleugnung – um jene apostolische Gnade, alle Herzen zu erreichen und den Frieden zu bringen, den Jesus uns bereits in diesem Advent verkündet.
In den Heiligsten Herzen von Jesus, Maria und Josef,
Luis CASASUS
Präsident









